Das Projekt "Familie und Suchtprävention" gibt eine Chance den Verzweifelten.
"Kann ich zur Veranstaltung mit meinem heranwachsenden Sohn kommen?" - solche Frage hat der Autor dieser Zeilen von einem völlig unbekannten Teilnehmer per WhatsApp erhalten. - Mein Mann ist abhängig. Ich brauche dieses Treffen wie die Luft zum Atmen " "Alleine wegen dieser Frau war es schon wert, diese Veranstaltung zu organisieren", dachte ich, als ich kurz vor Trier war.
Und obwohl die Aushänge über den thematischen Abend "Probleme des Übergangsalters" im Rahmen des Projektes "Familie und die Verhinderung der Abhängigkeit" im russischen Geschäft "Sibiria", in der Schule "Matryoshka", bei der Organisation "Verus", sowie bei den russischsprachigen Touristikbüros zu finden waren und die Information an Telefongruppen nach Interessen bekanntgegeben wurde, wussten die Organisatoren der Veranstaltung in Trier bis zum letzten Moment nicht, wie viele Leute in die Bäckerei kommen.
Ich sage schon mal im Voraus, dass das Treffen nicht „um abzuhacken“ war. Um 6 Uhr abends ähnelte die Bäckerei Dietz einem summenden Bienenstock: Mütter, Großmütter, Großväter besetzten die Plätze. Da war ein junger Vater mit einem fünf- oder sechsjährigen Jungen. Referentin Tatyana Hecker und Ljudmila Müller-Emmert atmeten erleichtert auf, als sie sahen, dass es in der Halle praktisch keine freien Plätze mehr gab…
Rettungsring
Natürlich waren die zwei Stunden für das Treffen eindeutig nicht genug. Als eine der Teilnehmerinnen der Veranstaltung - die Mutter von zwei Kindern, Svetlana - zugegeben hatte- war das ein sehr ernsthaftes Thema gewesen: "In der Tat ist das Thema sehr empfindlich und herzzerreißend. Niemand weiß, wie die Sucht beginnt und wie sie enden kann. Für mich war es interessant, den Referenten des Projekts Mikhail Dubrovskij, zuzuhören, der selbst alles durchgemacht hatte. Für mich waren seine Worte, dass Eltern ihren Kindern kein Geld geben müssen und aufhören sollen, sich um ein Kind zu kümmern, etwas, was ich zum ersten Mal gehört habe. Ich dachte, er würde im Gegenteil sagen, dass das Kind lieber von euch das Geld nimmt, anstatt bei Freunden und Bekannten zu betteln. Für mich ist es etwas Neues. Jetzt bin ich daran interessiert, sein Buch zu lesen. "
Auch Olga, die Mutter des zwölfjährigen Sohns hörte mit Interesse, was man erzählt hat: „Ich glaube, ich kann mich an alles erinnern, was gesagt wurde. Mein Sohn ist bereits kurz davor, was man als "Übergangsalter" nennt. Das ist gut, dass die Organisatoren sich um solch eine „Kleinigkeit“ wie Broschüren und Prospekte gekümmert haben, die man nach der Veranstaltung mitnehmen konnte." In diesem Sinne möchte ich ein separates „Dankeschön“ an die Bundesprojekte „Nullalkohol – voll Power“ und „Kinderstarkmachen“ sagen, sowie der Trierer Abteilung „Suchtberatung“, die den Organisatoren die Handouts und Bildmaterial zur Verfügung gestellt haben.
Eine lebhafte Diskussion unter den Zuhörern wurde durch die Ausschnitte aus dem Film "Wings of the Empire" geweckt.
Das Schicksal von Sonja Becker, die drogenabhängig wurde, ließ niemanden gleichgültig. Vielleicht konnten die Teilnehmer der Veranstaltung, dank dieser Idee der Referenten, endlich in das Gespräch kommen und das ganze in einen konstruktiven Dialog am "Runden Tisch" umwandeln.
Die Torte mit dem symbolischen Namen "Familie" und das Logo einer freundlichen und glücklichen Familie wurden genau an der richtigen Stelle serviert. Eine Bewohnerin aus Trier, Marina, die speziell für solch ein außergewöhnliches Ereignis selbst gebacken und gemeinsam mit ihrem jugendlichen Sohn das süße Leckerli dekoriert hat. "Ich habe so lange auf dieses Treffen gewartet. Das ist gut, dass solch eine Veranstaltung in unserer Stadt organisiert wurde ", sagte sie.
"Ich bin froh, dass ich bei diesem Treffen dabei war", teilte Irina ihre Eindrücke mit. – Mit dem Problem der Abhängigkeit bin ich vertraut und nicht nur vom Hörensagen. Man kann sagen, dass dieses Treffen für mich zu einem schicksalhaften geworden ist. Ich bin schon so weit gewesen, dass ich darüber nachgedacht habe, meinen Liebsten zu verlassen und wegzufahren, oder doch zu versuchen, für ihn zu kämpfen. Die Veranstaltung ist für mich zu einem Strohhalm geworden, an dem diejenigen, die bereits verzweifelt sind, zu greifen versuchen. Außerdem hat das Treffen in russischer Sprache stattgefunden. Als ich versuchte, Unterstützung in einigen deutschen Organisationen zu finden, schien es, als hätten sie mich nicht gehört. Die Sprachbarriere wirkt sich sehr stark auf die Kommunikation aus. Ich habe das selbst erlebt, weil ich jetzt Deutsch lerne. Irgendwann wurde mir klar, dass ich einfach alles aufgeben und wegfahren wollte. Und jetzt gibt es solche einzigartige Gelegenheit, mit Menschen zu kommunizieren, die bereit sind, dir zu helfen. "
Irina beschwerte sich, dass es in 2 Stunden unmöglich wäre, sich mit der Thematik komplett auseinanderzusetzen. Dennoch spürte die junge Dame den Boden unter ihren Füßen und hoffte, dass solche Veranstaltungen weiterhin stattfinden. „Es gibt typische Situationen, wenn alles bergab geht. Aber es gibt auch die langlebigen Geschichten, so wie in meinem Fall. Was tun? Wie soll man alles verstehen?- setzt die Gesprächspartnerin fort. Vor allem, wenn eine Person aus einer normalen, angemessenen und anständigen Familie kommt. Ich habe immer noch den Eindruck, dass mir die Menschen aus meiner Umgebung nicht glauben. Nach außen wirkt alles wunderbar: der Mensch arbeitet, studiert, hat eine Familie…Doch seine engsten Freunde, allerdings, wundern sich und stellen Fragen: „Haben Sie etwa ein Problem?“ Leiche Drogen sind heute zugänglich geworden und es wird angenommen, dass wenn man sie nimmt, das keine Probleme mit sich bringt. Und eines Tages verwandelt sich das Ganze in einen Alptraum. Die Eltern können nichts tun und dann nimmt alles ihren Lauf, wovon Michael gesprochen hat. Leider fängt man an, Sachen zu stehlen, es gibt auch tödliche Folgen. Und es spielt keine Rolle, zu welcher Art Droge die Menschen greifen – in leichter oder schwerer Form –im Endeffekt ergibt sich das gleiche Bild: sie werden nervös, impulsiv. Das kann man mit einem unbekannten Vulkan vergleichen, und man weiß nie, wann er explodiert. Das ist sehr gefährlich. Glauben Sie mir bitte, ich weiß, wovon ich rede. Ehrlich gesagt war dieses Treffen sowohl für mich als auch für meine Freunde ein wahrer Rettungsring. Ich möchte mich bei Ihnen, Mikhaill und allen, die das organisiert haben, herzlich bedanken. Nach einem persönlichen Gespräch mit Mikhaill habe ich die Hoffnung bekommen. Vielen Dank.
Die Pokermethode
Trier wurde die dritte Stadt, die sich dem Projekt angeschlossen hat. "Es hat mir sehr gefallen, wie diese Veranstaltung organisiert und dekoriert wurde", sagte Projektkoordinatorin Ekaterina Swarzewitsch. "Und obwohl die Plakate an den Wänden in den gemieteten Räumen der Thematik anderer Projekte gewidmet wurden, verfolgen sie alle das Ziel, den Familien zu helfen und die Aufmerksamkeit auf dieses spezielle Thema zu lenken.“
Nach Ekaterinas Meinung, hatten die Organisatoren des Trierer Treffens eine Menge Vorarbeit geleistet: „Ich möchte sagen, dass die Teilnehmer die Informationen aus verschiedenen Quellen bekommen haben und deshalb gab es unter den Besuchern der Veranstaltung Menschen aus verschiedenen Altersgruppen. Außerdem kamen diejenigen, die an dieser Unterhaltung interessiert waren. "Der Koordinator des Projekts "Familie und Suchtprävention" ist der Ansicht, dass das Abendprogramm sowohl zeitlich als auch thematisch ziemlich gut strukturiert war. "Die Kommentare der Sprecher wechselten sich mit den Reden der Referenten ab. Und dieser Film, den die Organisatoren vorbereitet haben, war an der richtigen Stelle eingesetzt und hat die Leute zum Gespräch angeregt. Es kann sein, dass worüber Mikhail zuerst gesprochen hat, sich etwas trocken angehört hat, weil die Information sehr spezifisch war. Aber nachdem das Publikum den Film gesehen hat, waren sie von diesem Problem tiefer durchdrungen und konnten leichter ins Gespräch kommen. Ich sah ihren Wunsch, zu kommunizieren und gleichzeitig ihre Gefühle und Gedanken zu teilen", fügte Ekaterina Swarzewitsch hinzu.
Der Projektreferent, Mikhail Dubrovskij, stimmt seiner Kollegin zu: "Es gab bei der Veranstaltung viele Leute, auch diejenigen, die daran interessiert waren. Am Ende des Treffens stellten sie private Fragen. Ich gab ihnen meine Telefonnummer und bot Hilfe an. Ich hoffe, wir bleiben in Kontakt. Natürlich hängt die Entwicklung der Ereignisse nur von ihnen ab. Aber ich war wieder mal überzeugt, dass diese Leute informationsbedürftig waren."
Eigentümerin des Trierer Touristikbüros „Margarita Lustigtour“ und Leiterin der Organisation „In der Freizeit“, Margarita Schumilina hat versprochen, sich aktiv an dem Projekt „Familie und Suchtprävention“ zu beteiligen. „Ich glaube, diese präventive Arbeit in Trier sollte kontinuierlich durchgeführt werden. Das ist eine wichtige und notwendige Arbeit. Alle Mitglieder unseres Clubs sind bereit, den Multiplikatoren notwendige Hilfe zu leisten. Solche Treffen sollten nicht ab und zu stattfinden. Und nur die Vorlesungen hier abzuhalten reicht es nicht aus. Das sollte eine zielgerichtete Arbeit sein, um die Familien mit Problemen informativ zu unterstützen. "
Früher fanden ähnliche Treffen in Dresden und Fulda statt
So hat, zum Beispiel, die Multiplikatorin Rosalia Mchedlidze (Verein „Rodnik“, Fulda) mit den Anwesenden aus medizinischer Sicht über Drogenabhängigkeit gesprochen.
Interessant war ebenso die Veranstaltung, die von dem Verein "Kolibri" (Dresden) organisiert wurde. Der Psychologe Paul Skrylnikow erzählte über die Entwicklung der Abhängigkeit und hat dabei den Bezug zu seiner praktischen und beruflichen Erfahrung in einer Klinik genommen.
Den Multiplikatoren aus Dresden, Inga Bernhardt und Denis Lupekin, ist es gelungen, einen Informationsabend selbständig zu organisieren. Die Referenten stellten den Anwesenden die Gründe für den Drogenkonsum vor und konzentrierten ihre Aufmerksamkeit auf die Fehler der Verwandten, nachdem diese erfahren haben, dass ihre Kinder "auf einer Nadel sitzen". Die Organisatoren kümmerten sich auch um die Verteilung der visuellen Materialien. Wie Mikhail Dubrowskij bemerkt hat, haben die Besucher des Informationsabends in dem Verein INTEGRA PLUS e.V. bei der Diskussion eines so auf den ersten Blick schwierigen Themas aktiv teilgenommen. "Nach dem Treffen haben Leute in persönlichen Gesprächen darum gebeten, diese Praxiserfahrung fortzusetzen", fügte er hinzu.
Am 17. Dezember ist ein Treffen in Senden geplant. Der Organisator der Veranstaltung, Sergej Sasikin, wird gemeinsam mit den Teilnehmern versuchen, Antworten auf viele Fragen bezüglich der Abhängigkeit zu finden. Zum Beispiel: wann und aus welchen Gründen dringen die Drogen in das Leben einer Familie ein? Ist es möglich, die Familie vor diesem Elend zu schützen? Wie funktioniert das staatliche Rehabilitationssystem für abhängige Menschen? Momentan wenden die Multiplikatoren die Pokermethode an, um zu dem Ziel zu kommen. Selbstverständlich bieten die Projektleiter die notwendige Unterstützung bei Durchführung der ersten Veranstaltungen an. Aber schon in absehbarer Zukunft wird die Organisation solcher Veranstaltungen komplett auf die Schulter der Referenten fallen. Laut Mikhail Dubrovskij muss man sich auf solche Treffen sorgfältig vorbereiten, sowie lernen, wie man Gespräche mit Eltern und Angehörigen der Betroffenen führt. Aber auch bereit sein, ihre Fragen zu beantworten. „Genau dafür wurde dieses Projekt geplant. Multiplikatoren sollen so einer Art Bindeglied zwischen russischsprachigen Familien und dem deutschen Hilfssystem werden.“
Ekaterina Swarzewitsch wünscht sich, dass das Projekt sich weiter entwickelt: "Während dieser Veranstaltungen konnte ich feststellen, dass die Menschen den Wunsch haben, solche Veranstaltungen zu besuchen. Ich sehe bereits deutlich, dass unsere ersten Treffen dazu beigetragen haben, die Menschen auf dieses Thema aufmerksam zu machen. Ich bin mir sicher, dass die Anwesenden ihre Meinung mit ihren Freunden und Bekannten teilen werden. Ich möchte, dass das Projekt vor Ort weiterlebt, damit unsere Multiplikatoren mit unserer Hilfe einen Informationspunkt schaffen können, an dem alle die Informationen in Zukunft erhalten können. "
Dossier
Ich möchte Sie dran erinnern, dass der Bundesverband russischsprachiger Eltern mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums seit August 2017 eine umfassende Arbeit zur Prävention des Drogenkonsums bei russischsprachigen Menschen in Deutschland lanciert hat.
Man sollte darauf hingewiesen werden, dass das Bundesministerium die Projekte, die auf das so genannte „russischsprachige Publikum“ gerichtet sind“, regelmäßig finanziert.“ Doch das Projekt „Familie und Suchtprävention“ ist eines seiner Art „Know-how“, weil es in russischer Sprache durchgeführt wird. An den Seminaren, die im Rahmen des oben genannten Projektes stattfinden, machen sich die zukünftigen Multiplikatoren mit den Informationen vertraut, die schließlich während ihrer Arbeit vor Ort verwendet werden.
Wie Geschäftsführer des Bundesverbands russischsprachiger Eltern (BVRE) Wladimir Weinberg bemerkt hat, ist das Ziel dieses Projekts, die Informationen über bestehende Hilfsangebote für Drogenabhängige und ihre Familien mit Beachtung deren Mentalität zu verbreiten.
Von Tatyana Hecker
P.S. Vielen Dank der Bäckerei Dietz und persönlich Selda und Etem Bayindir für ihre Hilfe bei der Organisation und Durchführung der Veranstaltun