Let’s talk, Berlin!
Berliner Talks 2022 - auf der Suche nach Vielfalt für alle
Die Tagung Berliner Talks ist wie eine Reise beim Unwetter. Es ist gar nicht so komfortabel in den stürmischen Zeiten, aus dem Haus bzw. aus der Komfortzone rauszugehen und sich ins Unbekannte zu begeben - globale Turbulenzen, geopolitische Katastrophen wie der Ukrainekrieg zerstörten unsere Illusion, in einer einfach lesbaren Welt zu leben. Die Welt nach dem 24. Februar ist unklar, gefährlich, gewaltsam und zerstörerisch. Und trotzdem sind wir, Russischsprachige hier in Deutschland, ein Teil der demokratischen Kultur. Wir sind hier zu Hause und wollen hier unser gemeinsames Zuhause inklusiv gestalten. Wie - das ist die komplizierte Frage und das Hauptthema der Tagung am 5. Oktober gewesen.
Vielfalt ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine demokratische und zukunftsfähige Gesellschaft. Wie erreicht man die Vielfalt im politischen Alltag, nicht nur auf dem Papier oder in schönen Floskeln? Was sind heißeste Themen in diesem Bereich, wo so viele Faktoren und Risiken für die Vielfaltspolitik existieren?
Das Thema der Vielfalt wurde während der Fachtagung Berliner Talks multidimensional betrachtet und intensiv unter den Vereinen und Expert*innen ausdiskutiert. In der key note Ansprache hat Professorin Frau Aleida Assmann von der Universität Konstanz darauf hingewiesen, dass Jugendliche die wichtigsten Träger*innen dafür sind, die kollektiven Erinnerungen im digitalen Zeitalter weiterzuentwickeln. Diskrepanzen zwischen Familiengeschichten und kollektiven Erinnerungen in dem öffentlichen Raum ist ein Spannungsfeld und eine Quelle von Frustrationen, die für zunehmenden Populismus einen gefährlichen Nährboden darstellen. Jugend in die politische Bildung einzubeziehen, Konflikte offen zu besprechen und Spannungen nicht zu verbergen, sondern klar zu artikulieren ist eine wichtige Herausforderung für die Politik des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Russlands Krieg heute ist ein Ergebnis einer militanten Version der russischen Nation, wo zivilgesellschaftliche Erinnerungen durch Putins Diktatur gewaltsam zerstört werden. Die Politik der Reue und Aufarbeitung der eigenen dunklen Geschichte kann eine Nation in einen inklusiven Raum verwandeln.
Die Podiumsdiskussion, moderiert von Victor Ostrovsky, fokussierte sich auf der Problematik des Ukrainekrieges in der postsowjetischen Diaspora in Deutschland und der Sprache für eine neue Auffassung der russischen Kultur nachdem, was die Teilnehmenden als einen totalen Zusammenbruch der russischen Kultur nach dem 24.02. 2022 definierten. Wie kann man die Krise der russischen Identität heute überwinden und die russische Kultur neu definieren? Wie kann man nach dem Putins Angriff die Zusammenarbeit unter Ukrainern, Belarussen und Russen restaurieren? Das wichtigste Erkenntnis aus der Diskussion - nach dem Ende des Krieges darf nichts verschwiegen, verdrängt und vergessen werden und russischsprachige Community in Deutschland soll ihren wichtigen Beitrag für eine selbstkritische Aufarbeitung der toxischen Gegenwart leisten, in der Putins Regime die Zivilgesellschaft europaweit gefährdet.
Die Politik der Erinnerungen, global betrachtet, ist eine Herausforderung für die post-Wahrheit-Gesellschaft, in der politische und mediale Lügen starke Anziehungskraft haben. Professor aus der Universität Seville, Fakultät für Journalistik, Miguel Vazquez Linan hat als Akademiker und als Journalist auf zahlreiche Risiken für Manipulationen mit den traumatischen Erinnerungen der posttotalitären Gesellschaften hingewiesen. Russlands und Spaniens Erfahrungen sind als transeuropäische Erinnerungsräume nach dem Ende der Diktatur zu betrachten und zu vergleichen. Es ist sehr schwierig, einen Dialog der Erinnerungen in Zeiten des Krieges zu gestalten, doch die Idee der Demokratie soll ethnisch und kulturell übergreifend werden, um das Fundament für eine mnemonische Brücke zu bauen.
Die abschließenden zwei Sessions mit den Vertreter*innen der deutschen Zivilgesellschaft eröffneten neue Perspektiven auf den Alltag und Integrationspolitik von verschiedenen Communities der Migrant*innen. Es bestehen immer noch Sprachen und Taten, die aus Rassismus und Diskriminierung ihre Impulse schöpfen. Vorurteile sind immer noch präsent und hindern viele Individuen daran, sich an der Politik zu beteiligen. Inklusion, so Vertreter*innen von bbt, Quarteera e.V., Phoenix e.V., tgd, Migrationsrat e.V., ist nicht eine neue Form der Anpassung an die Mehrheitskultur, sondern eine freie Entfaltung des eigenen Ichs und eine gleichberechtigte Mitgestaltung der politischen Kultur.
Zusammenfassend war die Fachtagung ein Beginn, eine erste Haltestelle auf dem langen Weg zu einer Vielfalt, die alle Gruppen der deutschen Gesellschaft umfasst, insbesondere traumatische Erfahrungen aus der Vergangenheit berücksichtigt und Risiken für inklusive Gesellschaft analysieren kann.
Nächstes Jahr geht es weiter mit den Berliner Talks.