Wir alle sind Kolonien und eine koloniale Macht. Berliner talks II
Vom 10. bis 11. Oktober 2023 fand die Tagung "Berliner Talks II" statt, organisiert vom Bundesverband russischsprachiger Eltern. Diese Veranstaltung wurde maßgeblich von den aktuellen geopolitischen Geschehnissen geprägt, insbesondere dem Angriff auf die Ukraine und Israel. Das zentrale Thema der Diskussionen waren koloniale Praktiken und die Dekolonisierung russischsprachiger Communitys in Deutschland. Die Tagung wurde im Rahmen des Kompetenznetzwerks "Zusammenleben in der Migrationsgesellschaft" des Bundesprogramms "Demokratie leben!" durchgeführt.
Die politischen Krisen, die die Welt in Atem halten, haben die Atmosphäre der Tagung geprägt und zwingen uns, die Ursprünge von Gewalt und Ausbeutung zu beleuchten. Kolonialismus und Hierarchien hinterlassen ihre Spuren in Texten und Schulbüchern, was oft auf Kosten der individuellen Freiheit geschieht. In diesem Kontext stellte sich die Frage, welchen Bezug russischsprachige Communitys in Deutschland zur kolonialen Vergangenheit haben und ob sie auch Kolonialmächte sind. Diese Fragen wurden zwei Tage lang intensiv diskutiert.
Der renommierte Journalist Nikolay Alexandrow beleuchtete die Verbindungen zwischen Kolonialismus und den Inhalten von Schulbüchern und Lehrplänen. Dr. Deniss Hanovs vertiefte das Thema anhand von Novellen des Schriftstellers Dovlatov. Die Forscherin und Autorin Madina Tlostanova setzte sich mit den Hierarchien in postkolonialen Diskursen auseinander. Das pazifistische Drama von Esther Bol mit dem Titel "Crime" reflektierte über Kriegsverbrechen im Kontext der Liebe und der ukrainischen Nation.
In einer Podiumsdiskussion wurden neue Ansätze für eine dekolonisierte Lehrmethodik im Russischunterricht in Deutschland erörtert. Vertreter*innen der migrantischen Zivilgesellschaft reflektierten über die Rolle der Lehrer im Prozess der Dekolonisierung des Schulunterrichts.
Neben den Hauptdiskussionen ergänzten parallel stattfindende Workshops die Vielfalt der behandelten Themen und ermöglichten es, bisher verschwiegene Lebensgeschichten aus anderen Kulturen kennenzulernen. Das Playback Theater "Linii" begeisterte das Publikum, indem es individuelle Lebensgeschichten von Flucht, Migration und Familiengeschichten vor Ort improvisierte und aufführte.
Die Tagung wurde durch Fragen aus dem Publikum bereichert, und es wurde klar, dass wir erst an der Oberfläche des äußerst komplexen Themas der Kolonisierung und des Kolonialen gekratzt haben. Es besteht ein dringender Bedarf an einer Fortsetzung dieser Diskussion, um tiefere Einsichten und Lösungsansätze zu erarbeiten. Die Berliner Talks II waren ein bedeutender Schritt auf dem Weg zur Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit und der Arbeit an einer dekolonisierten Zukunft russischsprachiger Communitys in Deutschland.